Doris Janssen-Reschke: Liebe macht satt.
Zur Erinnerung an die erste Landessuperintendentin in der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers. Von Doris Schmidtke, Pastorin i.R., von 1998 bis 2012 Superintendentin des Kirchenkreises Georgsmarienhütte im Sprengel Osnabrück.
Doris Reschke wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg in Hildesheim auf. Geboren wurde sie aber noch in Ostpreußen, 1944 in Heilsberg. Das Wissen um ihren Geburtsort und die Geburtszeit hat sie bewegt und beeinflusst. „Wahrscheinlich kennen Sie das doch auch, wenn Sie gelegentlich über Ihr Leben … nachsinnen und bemerken, wie Sie geführt und geleitet worden sind. Dass Sie eben nicht untergegangen sind in all den Gefahren und Bedrohungen, in den Ängsten und Schrecken, die ja immer auch zu unserem Leben gehören und die uns so oft mutlos und manchmal depressiv werden lassen. Mir geht das an jedem Geburtstag so, wenn mir bewußt wird, wann und wo ich geboren wurde, in einem Weltkrieg im fernen Ostpreußen und dann auf dem langen Treck quer durch Deutschland, bedroht von Krieg und Hunger, ohne Zuhause. Ein schutzloses Baby - und doch von Anfang an bewahrt und behütet, ohne dass ich irgendetwas dafürkonnte“, sagte sie in einer Predigt 2005.
Über ihre frühe Kindheit nach der Flucht schrieb sie: „Wir haben damals zu sechst im sogenannten Jagdzimmer einer Bauernfamilie gelebt. An den Wänden hingen die Geweihe der Hirsche, in besseren Zeiten erlegt, und ich dachte lange, das wären wirklich Haustiere. Wir schliefen zu dritt in einem Bett und ich weiß, wie hart sich meine Großmutter anfühlte, abgemagert bis auf die Knochen. Aber sie hatte immer Zeit für uns Kinder. Und oft, wenn wir auch nach den Mahlzeiten noch Hunger hatten, gab es ‚Nachtisch’: Sie erzählte einfach eine Geschichte, die uns so fesselte, dass wir alles um uns herum vergessen konnten. Die Geschichten weiß ich natürlich nicht mehr, aber ich habe bis heute behalten, dass Liebe satt machen kann und Zuwendung jedes Leben erträglicher.“
Schulsprecherin und Schulandachten
Almuth von der Recke, Superintendentin i. R. und ehemalige Mitschülerin von Doris Janssen-Reschke, erinnert sich: „Die Eltern Reschke haben Anfang der fünfziger Jahre ein großes Lebensmittelgeschäft in Hildesheim übernommen. Sie mussten hart arbeiten. Es blieb nur wenig Zeit für die Familie. Das betraf das jüngste Kind Doris am meisten. Ab 1954 besuchte sie das Mädchengymnasium „Goetheschule“ in Hildesheim, dort machte 1963 Abitur. Sie gehörte eine Zeit lang zu der Schülerinnengruppe, die die wöchentlichen Morgenandachten der Schule vorbereitete. Außerdem war sie mehrere Jahre Schulsprecherin. Das Landesjugendpfarramt lud damals in den Herbstferien Schülerinnen zu einem musischen Seminar auf Spiekeroog ein. Sie nahm in der Oberstufe jedes Jahr daran teil. Vermutlich kam daher für sie die Motivation für das Theologiestudium.
Theologiestudium, Ordination und Familiengründung
Nach dem Abitur studierte sie Theologie in Mainz, Berlin und Göttingen. Dem Ersten Theologisches Examen 1968 folgte ein Pressevikariat bei der Kirchenzeitung „Die Botschaft“ und 1970 das Zweite Theologisches Examen und die Ordination. Sie war die erste Frau in einem ostfriesischen Pfarramt und engagierte sich mit großer Freude in der Kirchengemeinde Hage bei Norden: „Es hat mir großen Spaß gemacht, einige der brachliegenden Aufgaben zu übernehmen. Für die Jugend wurden zwei Treffpunkte eingerichtet. Kinder warteten darauf, gesammelt zu werden. Die Bewohner eines großen Kreisaltersheimes brauchten Andachten und Seelsorge.“ 1972 heiratete sie Pastor Enno-Edzard Janssen. Janssen war geschieden und wurde deshalb auf die Insel Baltrum versetzt, Die Trennung war eine Belastung für die Familie, insbesondere für den 1973 geborenen Sohn.
Von 1975 bis 1993 war das Ehepaar in Bremerhaven in unterschiedlichen Pfarrstellen tätig, Doris Janssen-Reschke viele Jahre in der Krankenhausseelsorge und als Pastoralpsychologin.
Superintendentin in Hannover – Landessuperintendentin in Osnabrück
Als zweite Superintendentin in der Geschichte der Hannoverschen Landeskirche trat sie 1993 das Superintendentenamt im Kirchenkreis Hannover-Nordost an. Claudia Panhorst-Abesser, damals Pastorin im Kirchenkreis Hannover-Nordost, erinnert sich: „Drei Wochen lang war ich mit Doris Janssen-Reschke im Rahmen einer Kirchenkreisdelegation in Südafrika, im Partnerkirchenkreis Eshowe, Kwazulu-Natal. Als „our dean“ (unser Superintendent) sorgte sie zunächst für ungläubiges Staunen bei unseren wechselnden Gastgebern (damals gab es keine Frauenordination in Südafrika), erwarb sich aber zugleich durch ihre Präsenz und Klarheit im Auftreten sofort Respekt. Wenn das Besuchsprogramm des Tages hinter uns lag und die Nacht hereingebrochen war, rauchten Doris und ich draußen hinter dem VW-Bus der Gruppe heimlich unter dem grandiosen Sternenhimmel eine Zigarette.“
Im Februar 1998 wurde sie die erste Landessuperintendentin der hannoverschen Landeskirche, und zwar im Sprengel in Osnabrück. Von 1983 bis 1998 war sie Mitglied der hannoverschen Landessynode, viele Jahre auch Mitglied des Kirchensenats.
Klare Worte, großes Herz, mutiges Engagement
In Konflikten scheute sie sich nicht vor deutliche Worten und bezog eindeutige Positionen zugunsten der Schwachen in der Gesellschaft. Damit stieß sie manchmal Menschen vor den Kopf, viele schätzten aber ihre Wahrhaftigkeit und Klarheit: „In der politisch-gesellschaftlichen Öffentlichkeit war ihre Stimme nicht zu überhören. Nach ihrer Meinung vorhandene Probleme und Fehlentwicklungen in Politik und Gesellschaft sprach sie offen und deutlich an. Sie machte das bei persönlichen Gesprächen auch ziemlich schnörkellos und direkt. Ich habe ihre klare und offene Art bewundert. Die Gesellschaft, aber auch die Kirche, benötigt mehr solche Menschen und Amtsträger“, erinnert sich der ehemalige Landrat des Landkreises Osnabrück, Manfred Hugo, an sie.
Der Evangelische Pressedienst beschrieb sie als „kämpferische und manchmal unbequeme, aber auch geschätzte Theologin“. Die Schärfung des protestantischen Profils lag ihr am Herzen: „Wir werden sehr viel mutiger streiten müssen, um Gottes willen, streiten um wirkliche Werte in unserer Gesellschaft, streiten um Prioritäten wofür wir Geld ausgeben, streiten um alles, was menschenwürdig ist und was eben nicht! Wir sind und bleiben Protestanten, nicht um des Protestes willen, sondern weil der Glaube an Gott und das Leben in Liebe zu allen Mitmenschen und Mitgeschöpfen eben immer neue Fragen und Entscheidungen, neuen Glauben und neue Antworten verlangt.“
Seelsorgerin
Wer sie resolut und ruppig erlebt hatte, war oft überrascht von ihren warmherzigen Predigten und ihrer seelsorgerlichen Begleitung in Krisensituationen. Die Jahre in der Krankenhausseelsorge prägten ihren Umgang mit Menschen auch in den kirchenleitenden Aufgaben. „Die Seelsorge ist die Hauptaufgabe der Kirche. Gerade in Krisen und unter widrigen Umständen kann der Glaube erfüllend sein“, sagte sie bei ihrer Verabschiedung in den Ruhestand am 31. Juli 2007.
Ökumene
Im ökumenischen Miteinander in der Bischofsstadt Osnabrück war eine kirchenleitende Theologin mit solchen Äußerungen um die Jahrtausendwende noch gewöhnungsbedürftig; ihre direkte Art störte manchmal die diplomatischen Umgangsformen. Dennoch bleibt sie auch dem Generalvikar von Osnabrück, Theo Paul, in guter Erinnerung: „Ihre Positionierungen waren für mich Herausforderung und Ermutigung. Wir haben auch durchaus kontrovers diskutiert, aber immer in großer Offenheit und Klarheit. Ich bin dankbar für unsere Begegnungen und Gespräche."
Diakonisches Engagement
Sie engagierte sich konsequent für die Schwachen in der Gesellschaft, prangerte Missstände in der Straffälligenhilfe an, forderte Anerkennung und Respekt für Frauen in der Pflege, setzte sich für Alleinerziehende ein und warb für diakonische Arbeit: „Kirche ohne diakonisches Bemühen verfehlt ihre Daseinsberechtigung, denn die wirksame Nächstenliebe ist ein Grundpfeiler unseres christlichen Glaubens: du sollst Gott deinen Herrn lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Und natürlich kämpfte sie für Geschlechtergerechtigkeit. Sie war für viele Frauen Vorbild, Wegbereiterin und Förderin – oft in seelsorgerlicher Verschwiegenheit und in ermutigender Begleitung, manchmal aber auch mit deutlichen Forderungen und mutigen Entscheidungen.
In einem Interview zum 30. Evangelischen Kirchentag in Hannover 2005 antwortete sie auf die Frage „Wenn dein Kind dich morgen fragt: Warum soll ich eigentlich glauben?: „Ich erzähle, wie ich mein Leben zu bewältigen versuche. Wie ich mit meinen Schwächen, meiner Schuld umgehe. Dann sage ich dem Kind: Hab Mut zum Leben, denk daran, dass es kurz ist und ein Geschenk, das Freude macht. Wirf deine Angst und Resignation ab, erfreue dich an der lebendigen Natur, gewinne Freunde. Ich möchte dem Kind Hoffnung machen.“
Früher Tod
Zum 31. Juli 2007 ging sie in den Ruhestand. Ihr Mann Enno-Edzard war im Frühjahr 2007 gestorben. Sie zog nach Drage an die Elbe, in die Nähe von Winsen/Luhe. Nur ein knappes Jahr nach dem Eintritt in den Ruhestand verstarb sie am 22. Mai 2008 plötzlich im Alter von nur 64 Jahren. In einer Traueranzeige in der Evangelischen Zeitung würdigten Frauen aus der hannoverschen Landeskirche sie: „Sie war für uns Vorbild, Freundin, Weggefährtin und Wegbereiterin.“ Die Trauerfeier fand am 6. Juni 2008 in der St. Marienkirche in Winsen/Luhe statt, die Traueransprache hielt Superintendent Henner Hammersen. Am 7. Juni 2008 fand ein Gedenkgottesdienst in der St. Marienkirche in Osnabrück statt, den der damalige Landessuperintendent von Osnabrück, Burghard Krause, der damalige Superintendent Henner Hammersen, Osnabrück, und die damalige Superintendentin Doris Schmidtke, Georgsmarienhütte, gestalteten.
Doris Janssen-Reschke wurde auf dem Friedhof in Kuddewörde/Kreis Herzogtum Lauenburg beigesetzt.
Um das Wirken von Doris Janssen-Reschke nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, hat die DiakonieStiftung Osnabrücker Land im Frühjahr 2019 den Doris-Janssen-Reschke-Fonds gegründet.